Auf die Frage, welche Sprachen in Deutschland gesprochen werde, erhält man größtenteils die ratlose Antwort: „Gibt es denn etwa noch andere außer Deutsch?“ Die richtige Antwort lautet allerdings, dass in Deutschland viele Minderheitssprachen existieren, die im öffentlichen Bewusstsein jedoch noch nicht angekommen sind und eine Art Schattendasein fristen.

Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen definiert eine Minderheitssprache als eine Nicht-Amtssprache eines Landes, die weder ein Dialekt noch eine gebräuchliche Sprache von Zuwanderern ist.

In Deutschland fällt es schwer, sich vorzustellen, dass es neben der deutschen Amtssprache und der bunten Landschaft an deutschen Dialekten von Bayrisch bis Thüringerisch überhaupt noch andere Sprachen existieren. Tatsächlich lassen sich fünf Minderheitssprachen ausmachen, deren Untergattungen ein weitverzweigtes Sprach-Landschaftsbild in Deutschland ergeben.

Die erste Minderheitssprache ist Dänisch. Das klingt zuerst ebenfalls befremdlich, da Dänisch augenscheinlich in Dänemark und nicht in Deutschland beheimatet ist. Es hat sich jedoch im Norden von Deutschland, in Schleswig-Holstein seit Jahrhunderten als eigene Sprache etabliert, auch durch die räumlich geringe Distanz zu Dänemark.

Eine weitaus unbekanntere Sprache ist dagegen das Jenische. Jenisch ist eine dem Deutschen teilverwandte Sprache, die jedoch auch aus zahlreichen anderen Sprachen Wörter entlehnt hat, wie dem Französischen und Jiddischen, und unter die Kategorie des „Rotwelsch“ fällt, das als Bezeichnung für deutschbasierende Sprachen nicht-sesshafter Menschen dient. Jenisch ist es zu weiten Teilen mit dem Deutschen identisch, hat jedoch eine Bedeutungsverlagerung erfahren. Inwiefern es heute noch gesprochen werden, ist nicht belegt.

Auch Romani oder Romanes ist eine migratorisch geprägte Sprache, da ihre Sprecher in der Geschichte große Distanzen zurückgelegt haben und weit über den Globus verstreut sind. Es ist somit keine nur zu Deutschland gehörige Sprache. In Deutschland ist jedoch vor allem der Volksstand der Sinti und Roma als Romanes-Sprecher bekannt. Durch die Stigmatisierung, die dieser Volksstand als nicht-sesshaft nicht nur hier erfahren hat, blieb Romanes der Eingang in die deutsche Kulturlandschaft verwehrt. In den nomadischen Wurzeln ist auch der Grund zu suchen, weshalb Romanes erst seit kurzem überhaupt schriftlich existiert, da es zu größten Teilen mündlich weitergegeben wurde. Weltweit wird es ungefähr von 3,5 Millionen Menschen gesprochen, wie viele davon in Deutschland leben, ist allerdings auch nicht belegt.

Friesisch ist eine Sammelbezeichnung für die Sprachgruppe, die vor allem in der Umgebung der ost- und nordfriesischen Inseln gesprochen wird. Nordfriesisch wird im Kreis Nordfriesland in mehreren, untereinander kaum verständlichen Dialekten gesprochen, gilt jedoch als stark gefährdet und wird in den Familien generationenübergreifend weitergegeben. Ostfriesisch ist nahezu vollständig ausgestorben und wurde hauptsächlich durch das Niedersächsische und Hochdeutsche verdrängt. Der letzte Überrest des Ostfriesischen ist das sogenannte Saterfriesisch, das von circa 1000 bis 2500 Menschen im Landkreis Cloppenburg noch gesprochen wird. 1999 wurde es als deutsche Minderheitssprache anerkannt und genießt besonderen Schutz.

Niedersächsisch oder auch Plattdeutsch genannt ist keine eigenständige Sprache, sondern eine deutsche Regionalsprache, wurde 1994 jedoch ebenfalls als Minderheitssprache anerkannt und gilt teilweise auch neben dem Standarddeutschen als deutsche Amtssprache.

Die letzte Minderheitssprache ist das Sorbische, das manche Zeitgenossen gerne mit dem Serbischen verwechseln. Außer der Zugehörigkeit zu dem slawischen Sprachenstamm verbindet diese beiden Sprachen allerdings keine Gemeinsamkeit. Sorbisch glieder sich in Ober- und Niedersorbisch und wird auch häufig unter der Bezeichnung „Wendisch“ erfasst. Wendisch ist eine nicht näher definierte Sprachbezeichnung für slawische Sprachen westlich des Polnischen und nördlich des Tschechischen. Sorbisch wird in der Lausitz von circa 40.000 Menschen gesprochen, in Brandenburg von etwa 20. 000.

Trotz ihrer Verschiedenheit und der völlig gegensätzlichen Sprecher und Geschichten zeigen diese verschiedenen Minderheitssprachen doch, dass sprachliche Homogenität auch entgegen der öffentlichen Meinung in Deutschland bei Weitem nicht gegeben ist. Dies muss jedoch in keinster Weise einen Malus für die deutsche Gesellschaft bedeuten, da Vielfalt in jedem Fall eine Bereicherung darstellt. Diese Sprachen sind allesamt eng mit wertvollem Kulturgut verbunden, daher ist es richtig und wichtig, sie mit der Charta zu schützen, um den unbegrenzten Zugang darauf weiterhin zu ermöglichen. Doch es ist auch ebenso relevant, diese Minderheitssprachen nicht länger als Sprachen einer unerheblichen Minderheit wahrzunehmen, sondern sie ins öffentliche Gedächtnis (zurück-) zu rufen und dort zu halten. Denn wir sollten uns wenigstens im Klaren darüber sein, welche Sprachen in unserem unmittelbaren Umfeld Tag für Tag gesprochen werden!



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